NS-Verwaltung:
Dr. Hans Globke
Umgang mit der Vergangenheit
Ende der vierziger Jahre schien die ‚Entnazifizierung‘ abgeschlossen, man wollte sich der Zukunft zuwenden. Die Mehrheit der Bevölkerung schob die Schuld an den nationalsozialistischen Verbrechen einer kleinen Minderheit in Führungspositionen zu. Die Täter*innen wurden auf „diejenigen reduziert, die den Befehl erteilten“. Die These vom Unwissen des Großteils der Bevölkerung gilt jedoch inzwischen als vollständig widerlegt.
In der Regierung unter Konrad Adenauer von 1949-1963 entstand der populäre Begriff der ‚Vergangenheitsbewältigung‘, faktisch wurde für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aber wenig getan. Dies spiegelte sich auch im politischen Alltag in der jungen Bundesrepublik: In den 1950er Jahren gab es eine Reihe von Amnestiegesetzen und Begnadigungen von Funktionär*innen und Unterstützer*innen des NS-Regimes in Wirtschaft und Gesellschaft sowie einen Rückgang der Strafverfolgungsprozesse.
Hohe Posten wurden mit ehemaligen Nationalsozialist*innen besetzt. So auch in der Regierung unter Konrad Adenauer: Die Stelle des höchsten Beamten im Staate hatte Adenauers Staatssekretär und rechte Hand Dr. Hans Maria Globke inne, der Kommentator der Nürnberger Rassegesetze von 1935.
Die Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt zitierte den brutalen Block- und Rapportführer im Stammlager Auschwitz, Oswald Kaduk, der vor dem Frankfurter Schwurgericht gesagt hatte: „Die meisten gehen noch frei herum, wie der Globke. Das tut einem weh.“ Fritz Bauer fasste diese Beobachtung in die Worte: „Die Angeklagten haben in den Spiegel des deutschen Volkes geschaut und gelernt, daß ‚man’ nichts wußte, daß niemand etwas ahnte“. So offenbar auch Dr. Hans Globke.
Vor dem Prozess
1933 – 1945
Antijüdische Maßnahmen
und Gesetze
An der Ausformulierung der Nürnberger Rassegesetze war Globke nicht selbst beteiligt, veröffentlichte allerdings 1936 gemeinsam mit seinem Abteilungsleiter, dem Staatssekretär Wilhelm Stuckart, die „Kommentare zur deutschen Rassengesetzgebung“. Dabei handelt es sich um eine juristische Erläuterung, die die praktische Anwendung der Gesetze näher beschreibt. Stuckart schrieb jedoch lediglich die Einführung, der Kommentar sowie die erste Ausführungsbestimmung stammten von Globke. Dieser trug so maßgeblich dazu bei, wie die Gesetze ausgelegt und umgesetzt wurden. So ist es beispielsweise auf ihn zurückzuführen, dass zum Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Jüdinnen einerseits und Nichtjuden und Nichtjüdinnen andererseits, der durch die Nürnberger Rassegesetze verboten wurde, auch schon „beischlafähnliche Handlungen“ zählten.
Ebenso legte Globke fest, wann Juden und Jüdinnen als sogenannte 5/8-Juden und 5/8-Jüdinnen anzusehen waren. Mit der willkürlichen Erfassung der „jüdischen Bevölkerung“ und den Ausführungsverordnungen für die antijüdische Gesetzgebung wirkte Dr. Globke an der beabsichtigten Legitimierung für den Völkermord an den Juden und Jüdinnen mit. Seine Auslegung verschärfte das „Blutschutzgesetz“ und ging konform mit dem nazistischen Rassenwahn.
1941 beantragte Globke die Mitgliedschaft in der NSDAP, was aufgrund seiner Kontakte zum katholischen Zentrum abgelehnt wurde.
nach
1945
Globkes politische Karriere
Bereits 1946 tritt Globke in die CDU ein. Im Rahmen der Entnazifizierung wird ihm der Status „unbelastet“ – Kategorie V zuerkannt. Dabei helfen ihm auch sogenannte „Persilscheine“ –Entlastungsschreiben, die meist von Freund*innen und Bekannten stammten. Globke war ab September 1949 im Bundeskanzleramt tätig, in der Regierung unter Konrad Adenauer nahm er eine zentrale Rolle ein. Zehn Jahre, von 1953 bis 1963, war Globke Chef des Bundeskanzleramts und der engste Vertraute Adenauers.
Beide, Adenauer und Globke, waren nicht nur in den Aufbau einer deutschen Armee eingebunden, sondern auch in die Operation „Gladio“, den Aufbau einer Guerillatruppe zur Bekämpfung des Kommunismus in Europa. Als Chef des Bundeskanzleramts beaufsichtigte Globke auch den Bundesnachrichtendienst (BND). Er war einer der ersten, der 1960 von dem Interview erfuhr, das der Deportationsspezialist Adolf Eichmann dem SS-Mann Wilhelm Sassen in seinem Exilland Argentinien gab.
Der Mythos von der Selektion als Lebensrettung
Über Dr. Hans Globke hieß es, und er behauptete dies auch selber, er habe mit seiner Auslegung der Nürnberger Rassegesetze Leben retten wollen. Dass dies die Aussonderung der so genannten Nicht-Arier, in erster Linie der Juden und Jüdinnen, legitimieren sollte, wurde bei dieser Art der Argumentation einfach umgedreht: der Selekteur stilisierte sich als Lebensretter. Die Nürnberger Rassegesetze waren für Globke kein Unrecht, sondern ein verbrieftes Recht, an das sich jeder zu halten hatte.
Im Wilhelmstrassen-Prozess (1947) hatte Dr. Stuckart, der unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Verfolgung von Juden und Jüdinnen, Katholik*innen und anderen Minderheiten) angeklagt wurde, behauptet, dass sein Plan, alle „Halbjuden“ sterilisieren zu lassen, die „jüdischen Mischlinge“ gerettet hätte. Das Gericht sah dies nicht als bewiesen an. Dr. Stuckarts Beteiligung an der Ausarbeitung der Nürnberger Rassegesetze wurde als Mitwirkung am Vernichtungsprogramm bewertet. Globke sagte als Zeuge in diesem Prozess gegen Stuckart aus. Er gab zu, dass er zwar von der systematischen Ausrottung der Juden und Jüdinnen wusste, aber nicht – was der Anfang seiner eigenen Legendenbildung nach dem Krieg war – „dass sie sich auf alle Juden bezog“ (Tuerck 1950, S. 167). Was er unter dem Begriff „systematisch“ verstand, ließ er offen.
Auch im ersten Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965 wurde die Mitwirkung an der Selektion an der Rampe von Auschwitz von den Anwälten der Verteidigung als Form des Widerstands ausgelegt, da so Leben gerettet worden seien. Zahlreiche verantwortliche Staatsbedienstete behaupteten nach 1945, nur an der Kodifizierung des Unrechts wie beispielsweise der antijüdischen Gesetzgebung mitgewirkt zu haben, um Schlimmeres zu verhindern.
Konrad Adenauer stellte sich stets schützend vor seinen engsten Vertrauten und appellierte im Oktober 1952 an die Bundestagsabgeordneten: „Ich meine wir sollten jetzt mit der Nazi-Riecherei mal Schluss machen.“
Konrad Adenauer
Der Selekteur als Lebensretter
„Bundeskanzler Konrad Adenauer hat diesen Mann seit sieben Jahren allein gegen alle Angriffe und Attacken der politischen Scharfschützen in Bonn abgeschirmt und gehalten. Wird im intimen Zirkel des Palais Schaumburg etwas gegen den Staatssekretär vorgebracht, winkt er nur ab: ‚Ach, lassen Sie mal, der liebe Herr Globke…‘ Werden die Angriffe in der Öffentlichkeit geführt, klettert der greise Kanzler unverzüglich aufs Podium des Parlaments. Viermal hat er von dort bereits für Globke gestritten. Im Bundestag bekannte er, ‚daß ich in, der langen Zeit, in der ich im öffentlichen Leben … tätig bin, kaum jemals einen Beamten kennengelernt habe, der mit gleicher Pflichttreue und gleicher Objektivität seines Amtes waltet, wie Herr Globke.‘ (…)
Wieder und wieder hatten in den ersten drei Bundes-Jahren die Sozialdemokraten den Hans Globke deswegen im Parlament auf die Hörner genommen; sie empfänden es als ‚eine Schande‘, daß der Kommentator der Nürnberger Judengesetze im Bundeskanzleramt beschäftigt sei. Und wieder und wieder versuchte Konrad Adenauer seinen Getreuen vor dem Plenum reinzuwaschen: Die Besatzungsbehörden hätten Hans Globke überprüft, und Juden hätten sich bei ihm für ihre Rettung bedankt. Zwischenruf: ‚Auch Himmler hat Juden gerettet.‘ Konrad Adenauer: ‚Ich meine, wir sollten jetzt mit der Naziriecherei Schluß machen.“ Nach diesem Appell an das nationale Gewissen herrschte tatsächlich drei Jahre Ruhe. Bis vor kurzem.“ (DER SPIEGEL, Nr. 14, 1956).
Für seine Rolle im NS-Regime wurde Globke aber auch scharf kritisiert, es gab immer wieder Proteste gegen ihn.
Mit dem simplen Argument, man habe sich an die Gesetze halten müssen – „Gesetz ist Gesetz und Befehl ist Befehl!“ – lehnten NS-Juristen und SS-Offiziere dann nach dem Krieg und Holocaust jegliche persönliche Mitschuld und Verantwortung an dem selbsterrichteten Unrechtsstaat ab.
Das Lösener-Dokument
Das sogenannte Lösener-Dokument wurde 1950 von Bernhard Lösener verfasst, der selbst an den Nürnberger Rassegesetzen mitgewirkt hatte. Das Schriftstück war eine Dokumentation seiner Tätigkeit als „Rassereferent im Reichsministerium des Inneren“, wo er neben Globke unter Stuckart arbeitete. Nicht zufällig wurde es 1961 veröffentlicht. Lösener, der sich selbst in dem Dokument als Widerstandskämpfer hinstellte, schrieb, dass Hans Globke „mit der Bearbeitung der ‚Judenfrage‘ im Innenministerium“ nichts zu tun gehabt habe (Essner 2002, S. 115). In ihrer Studie über die „Nürnberger Gesetze“ weist Cornelia Essner aber nach, dass die Rassegesetze langfristig vorbereitet wurden und dass das Lösener-Dokument im Jahr 1961 publiziert wurde, um zu belegen, dass Adenauers Staatssekretär „weder mit Entstehung noch Umsetzung der ‚Nürnberger Gesetze‘ zu tun gehabt hätte“ (ebd.).
Während Lösener 1950/61 sowohl Dr. Globke wie auch seinen ehemaligen Vorgesetzten Dr. Stuckart entlastete, hatte Hans Globke hingegen bereits 1948 vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg (wo Dr. Stuckart sich ausschwieg) gesagt, die „beteiligten Vertreter des Reichsinnenministeriums“ hätten „Inhalt und Tendenz der Gesetze im Wesentlichen“ bejaht. Was er nicht sagte, war, dass er an den Gesetzesprojekten mitwirkte, die den in den Nürnberger Rassegesetzen kodifizierten minderen Rechtsstatus der Juden durch Einführung der Vornamen „Sarah“ und „Israel“ weiter ausweiteten. Gleiches gilt für den Plan, die in Deutschland geborenen Juden und Jüdinnen und „Mischlinge“ zu Staatenlosen zu machen. Auch wenn dieser Plan nicht umgesetzt wurde, kann von einer „mildernden“ Einflussnahme, die Globke für sich beanspruchte, nicht die Rede sein.
Die Ermittlungen Bauers
Die Ermittlungen Bauers
1960 leitete Fritz Bauer ein Ermittlungsverfahren gegen Dr. Hans Globke ein. Dr. Max Mertens, ein Jurist und ehemaliger Verwaltungsoffizier der Heeresgruppe E in Thessaloniki, Griechenland, hatte ausgesagt, dass er 1943 mit dem SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann zusammengetroffen sei, „der damals als Referatsleiter der Abteilung IV (Gestapo) im Reichssicherheitshauptamt die ‚Endlösung‘ vollzog“. „Merten will mit Eichmann über die Evakuierung – und damit Rettung – von 10.000 jüdischen Frauen und Kindern nach Palästina verhandelt haben. Eichmann sei bereit gewesen, habe sogar von 20.000 Personen gesprochen, wollte aber telefonisch die Zustimmung des Ministerialrats Dr. Globke im Reichsinnenministerium einholen. Dort sei Eichmann auf Widerstand gestoßen, der Rettungsplan damit erledigt gewesen“. Bauers Ermittlungen drehten sich um diese angeblich von Globke verhinderte Rettung von 20.000 Juden und Jüdinnen aus Thessaloniki.
Bundeskanzler Adenauer sprang seinem Staatssekretär Dr. Globke persönlich zur Seite und schrieb im Januar 1961 einen Brief an den hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn (SPD). Empört stellte der Bundeskanzler fest, erstmals sei es dem Ulbricht-Regime gelungen, einem hohen Staatsorgan in der Bundesrepublik, Herrn Generalsstaatsanwalt Bauer, an dessen Objektivität er „persönlich natürlich in keiner Weise zweifle“, Materialien über Herrn Globke zu übergeben. Er sei in „großer Sorge“ und halte es „für zweckmäßig“, das Verfahren nach Bonn abzugeben (Bevers 2009, S. 170). Tatsächlich gab die Frankfurter Staatsanwaltschaft kurz darauf zuständigkeitshalber das Verfahren an den Oberstaatsanwalt beim Landgericht Bonn ab. Das Ermittlungsverfahren wurde im Mai 1961 eingestellt, da sich „nicht der geringste Anhaltspunkt für die Wahrheit der von Dr. Merten aufgestellten Behauptungen“ ergeben habe, dafür aber der „dringende Verdacht“ falscher Angaben.
Auch Adolf Eichmann, der 1961 in Israel vor Gericht stand, wurde zu Globke befragt. Die Frankfurter Rundschau berichtete über die Abgabe des Verfahrens nach Bonn am 18. Februar 1961:
„Wie Bauer weiter mitteilte, wurde der ehemalige SS-Obersturmbannführer Eichmann auf Antrag des Bonner Oberstaatsanwalts in Israel richterlich auch zu der Frage gehört, ob er (Eichmann) anlässlich einer Vorsprache Dr. Mertens im Reichssicherheitshauptamt im Jahre 1943 vergeblich die Mithilfe Globkes zur Rettung jüdischer Frauen und Kinder erbeten habe. Eichmann habe dazu die Aussage verweigert. Nach dieser Weigerung, sagte Dr. Bauer, bestehe kein Zusammenhang des Globke-Verfahrens mehr mit anderen in Frankfurt a. M. anhängigen Verfahren, so daß der Bonner Oberstaatsanwalt zuständig geworden sei.“
Globke und Eichmann
Nach der Abgabe des Verfahrens nach Bonn stand auch Globkes Beteiligung an der Ordnung der Staatsangehörigkeitsverhältnisse im „Großdeutschen Reich“ zur Debatte, die am 12. Mai und 22. Juni 1961 im Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem zur Sprache kam. Eichmann beschrieb auf diesen Sitzungen die Beteiligung Dr. Globkes an der 11. Durchführungsverordnung zum Reichsbürgergesetz, mit anderen Worten der Verordnung, die für die Deportation und Ermordung der Juden entscheidend war. Darüber wurde sofort nach Bonn berichtet, lag doch laut Eichmanns Aussage „der Ursprung für diese Judenmaßnahmen zum größten Teil bei der Abteilung I des Reichsinnenministeriums und zwar bei Ministerialdirigent Hering und Ministerialrat Globke“.
Der „Fall Dr. Globke“ war parallel zu politischen Nachkriegskarriere des Staatsbeamten immer wieder Thema öffentlicher Diskussion. Für Fritz Bauer ergab sich eine direkte Verbindung zum Jerusalemer Eichmann-Prozess. Nachdem der israelische Geheimdienst Mossad, der von Bauer über den Aufenthaltsort Adolf Eichmanns in Argentinien informiert worden war, im Januar 1958 den ersten Agenten nach Buenos Aires schickte, hatte bereits ein weiterer Geheimdienst die Spuren Eichmanns gefunden: die US-amerikanische Central Intelligence Agency (CIA).
Nach einem geheimen Dokument vom 19. März 1958 hatte sie Eichmann unter dem Namen Clemens in Argentinien lokalisiert. Angeblich sei diese Information auch dem befreundeten Bundesnachrichtendienst (BND) übermittelt worden; beide Dienste verschwiegen jedoch ihr Wissen gegenüber den bundesdeutschen Justizbehörden. Der angebliche Grund: Es gab Sorge darüber, dass der Deportationsspezialist des Reichssicherheitshauptamtes öffentlich Dr. Hans Globke, den höchsten Beamten des Staates und persönlichen Protegé von Bundeskanzler Adenauer, aber auch andere hochrangige SS-Führer in den Diensten Bonns oder der USA, belasten könnte. Denn nicht nur die CIA und das Counter Intelligence Corps (CIC) bedienten sich der ehemaligen Gegner als Agenten, auch der BND beschäftigte im In- und Ausland eine erkleckliche Zahl in den Holocaust und Vernichtungskrieg verstrickter Nationalsozialisten. CIA und BND schützten das „System Adenauer-Globke“ und waren sich über Globkes Funktion in diesem System, wie seine CIA-Akte zeigt, vollständig im Klaren.
Dem ehemaligen SS-Obersturmbannführer Eichmann kamen die zwischenstaatlichen Absprachen, die dazu beitrugen, dass der „Fall Globke“ im Eichmann-Prozess nicht zur Sprache kam, nicht zugute. Den ehemaligen Deportationsspezialisten erboste dies nicht wenig, berief er sich doch wie alle Verantwortlichen stets auf seine Zuständigkeit und spielte die eigene Rolle als Funktionär im Reichssicherheitshauptamt dabei herunter – nicht anders als Dr. Globke seine Rolle und Funktion im Reichsinnenministerium und eben auch nicht anders als der eingangs erwähnte Sanitätsdienstgrad Oswald Kaduk im Auschwitz-Prozess. Alle wollten sie Befehle ausgeführt und sich immer bloß an das Gesetz gehalten haben, Eichmann an die vom Reichsinnenministerium herausgegeben Rassegesetze, Globke an die seiner Vorgesetzten im Reichsinnenministerium und Kaduk, der Zehntausende mit Phenolinjektionen im KZ Auschwitz ermordete, an die der Kommandantur und seines Arztvorstehers im KZ.
Während Eichmann nach dem Todesurteil durch das Jerusalemer Bezirksgericht am 15. Dezember 1961 auf seine Berufungsverhandlung wartete, kommentierte er in seiner Zelle auf 40 Seiten ein Buch von Reinhard-M. Strecker über Dr. Hans Globke, das sein Anwalt Dr. Servatius ihm mitgebracht hatte. Gestützt auf Reinhard Streckers Dokumentation – die eine eigene Geschichte darstellt und auf Betreiben von Hans Globke großteils eingestampft wurde – berief Eichmann sich auf die Geschäftsverteilungspläne des Reichsinnenministeriums und stellte fest: „Die Deportationsdienststelle (das war er selbst, Anm. d. Red.), die für den von oben befohlenen Deportationsort zuständig war, brauchte in den ‚Kommentaren‘ ja nur Einblick zu nehmen, um zu wissen, ob die Person zu dem vom MdI (Ministerium des Innern) festgestellten Personenkreis gehört oder nicht.“ An diesen Vorgaben für die Exekutive hatte Dr. Hans Maria Globke mitgewirkt. Dennoch war der Ministerialrat, wie Eichmann empört feststellte, nicht verurteilt worden: „Das Buch Globke zeigt mir, dass ich recht habe, wenn ich nicht verstehen kann: ‚Hier Staatssekretär einer Regierung; da, zum Tode verurteilt!’“ Eichmann forderte, dass Dr. Globke endlich als Zeuge geladen werde, was sein Verteidiger Dr. Servatius in der Berufungsverhandlung dann auch tat – in der Gewissheit, dass der BND und das Kanzleramt ihre Netzwerke schon spielen lassen würden. Und so kam es – die israelische Anklagebehörde lehnte ab und die arbeitsteilige durchgeführte „Endlösung“ wurde nicht thematisiert.
Rücktritt und Tod Globkes
Dr. Hans Maria Globke trat am 15. Oktober 1963 zusammen mit Bundeskanzler Adenauer zurück.
Die DDR hatte in den Monaten zuvor einen Schauprozess gegen den Kommentator der Nürnberger Rassegesetze durchgeführt und ihn in Abwesenheit am 23. Juli 1963 zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.
In der BRD wurde dieser Prozess kaum wahrgenommen
und auf die Entscheidung zum Rücktritt Dr. Globkes hat er keinen Einfluss mehr gehabt.
Sie war vorher in Folge der ermüdenden Abwehrkämpfe gefallen, doch hatte Adenauer das Rücktrittsgesuch Globkes nicht angenommen.
Globke starb nach schwerer Krankheit am 13. Februar 1973.
Rezeption
Eine Einschätzung von Conrad Taler (alias Kurt Nelhiebel)
„Seinen ersten großen Konflikt handelte Fritz Bauer sich 1960 als hessischer Generalsstaatsanwalt ein, als er ein strafrechtliches Vorermittlungsverfahren gegen den Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Vertrauten Adenauers, Dr. Hans Globke, einleitete. Dessen frühere Tätigkeit als Spezialist für Judenfragen im Nazi-Reichsinnenministerium war während des Prozesses der Israelis gegen den Beauftragten für die ‚Endlösung der Judenfrage’, Adolf Eichmann, wieder einmal ins Blickfeld gerückt.
Ohne auf Globkes eventuelle Mitschuld an der Judenverfolgung einzugehen – immerhin war er Mitverfasser des offiziellen juristischen Kommentars zur Umsetzung der Rassegesetze in die Praxis – warfen die Kritiker dem Generalstaatsanwalt Amtsmissbrauch und Politisierung der Justiz vor. Als ob das nicht reichte, verdächtigten sie ihn obendrein der Komplizenschaft mit den Kommunisten. Wie es denn zu erklären sei, fragten sie öffentlich, dass die Presse der Ostzone das Aktenzeichen des Globkeverfahrens eher gekannt habe als die Zeitungen der Bundesrepublik; offensichtlich gebe es da Querverbindungen. In die Nähe der Kommunisten gerückt zu werden, war schon für einen Normalsterblichen existenzbedrohend, geschweige denn für einen Mann in exponierter Position.
Ein amtierender Generalstaatsanwalt im Bunde mit dem politischen Erzfeind hinter dem Eisernen Vorhang – für die meisten ein unerträglicher Gedanke. Doch nichts an dem schäbigen Verdacht stimmte. In Wirklichkeit war das Aktenzeichen des Verfahrens nicht von der DDR-Presse erstmals veröffentlich worden, sondern vier Monate davor vom SPD-nahen ‚Hamburger Echo’. Aber die Schmutzwerfer hatten ihr Ziel erreicht. Fritz Bauer war stigmatisiert.
Hans Globke, der einstige Spezialist für Judenfragen im NS-Staat, behielt, ungeachtet des weltweiten Entsetzens über den Massenmord an den Juden, seinen Bonner Posten bis zum Erreichen des Pensionsalters.“
Wie unterschiedlich die Rolle und Verantwortung von Globke als Mitwirkendem an der rassistischen nationalsozialistischen Politik noch immer bewertet wird, belegen die zuletzt erschienenen Studien von Jürgen Bevers (2009) und Erik Lommatzsch (2009) über Dr. Hans Maria Globke. Während Jürgen Bevers in seinem Buch die Perspektive der Überlebenden einnimmt, spiegelt Erik Lommatzsch die gespaltene Meinung über Dr. Globke in einer deutschen Geschichtswissenschaft und in der Politik, die noch immer nicht wagt, die Geschichte des Nationalsozialismus vom Standpunkt der Opfer her zu schreiben.
Die ‚Akte Globke‘ – bis heute nicht zugänglich
Die konkreten Verantwortlichkeiten Hans Globkes im NS-Regime sind bis heute nicht vollumfänglich geklärt. 2017 wurde in den Bundeshaushalt ein Förderprogramm in Höhe von 4 Millionen Euro aufgenommen, „das die NS-Vergangenheit zentraler Behörden, insbesondere der Bundesministerien, ressortübergreifend aufarbeiten soll.“
Für die Akten zu Globke ist eigentlich das Bundesarchiv zuständig – ein großer Teil der Akten liegt allerdings bei der privaten, CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Damit gilt für Historiker*innen, die zu diesem Thema forschen möchten, nicht das Bundesarchivgesetz, wie sonst üblich, sondern die Stiftung selbst entscheidet darüber, wer welche Akten wie einsehen darf.
„FragDenStaat“, ein Projekt für Informationsfreiheit, übt scharfe Kritik an dieser Vorgehensweise und fordert die Abgabe der Akten an das Bundesarchiv. Nach einer Strafanzeige von „FragDenStaat“ gegen Kanzleramtsmitarbeiter wurden die Ermittlungen von der Berliner Staatsanwaltschaft eingestellt. Einen Teil des Aktenbestandes, an den sie gelangen konnten, veröffentlichte das Projekt 2021 auf ihrer Webseite: https://fragdenstaat.de/dokumente/sammlung/9-hans-globke/. Hier findet sich auch das bereits erwähnte Buch von Reinhard Strecker aus dem Jahr 1961, welches anhand von Akten die Rolle Globkes im NS-Regime deutlich macht. Globke hatte kurz nach Erscheinen des Buches mithilfe einer einstweiligen Verfügung und einer Klage erreicht, dass das Buch nach der ersten Auflage eingestellt wurde.
Eine aktuelle Einordnung zur Rolle des BND und den Verflechtungen Konrad Adenauers findet sich in unserem Blog.
Globke ist nur ein Beispiel der vielen Schreibtischtäter*innen, die nach 1945 weitestgehend
unbehelligt Karriere machen konnten.
Fritz Bauer leistete mit seinen Ermittlungen einen
wichtigen Beitrag, um Globke zur Verantwortung zu ziehen.
Er scheiterte allerdings am politischen Unwillen der Bundesrepublik, sich konsequent mit der arbeitsteilig
durchgeführten „Endlösung der Judenfrage“ auseinanderzusetzen.
Wie der Fall Globke deutlich macht, dauert dieser Unwille teilweise noch bis heute an.
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Fritz Bauers Büro 1956
Strafrechtsreform
Glossar
Literatur:
Bauer, Fritz. „Antinazistische Prozesse und politisches Bewußtsein. Dienen NS-Prozesse der politischen Aufklärung?“, in: Hermann Huss, Andreas Schröder (Hrsg.), Antisemitismus. Zur Pathologie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt, 1965, S.168-193.
Bevers, Jürgen. Der Mann hinter Adenauer. Hans Globkes Aufstieg vom NS-Juristen zur Grauen Eminenz der Bonner Republik. Berlin: Christoph Links 2009.
Blasius, Rainer. „Zum Schutz von Globke? Der BND wusste schon 1958, dass Eichmann sich in Argentinien versteckte“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.6.2006.
“Böse Erinnerungen,”, in: Der Spiegel, Vol. 14, 1056.
Dirks, Christian. „Die Verbrechen der anderen“. Auschwitz und der Auschwitz-Prozeß in der DDR: Das Verfahren gegen den KZ-Arzt Dr. Horst Fischer. Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöning 2004.
Henke, Klaus-Dietmar. Geheime Dienste. Die politische Inlandsspionage des BND in der Ära Adenauer. Teil 2. Berlin: Ch. Links, Mai 2022.
Essner, Cornelia. Die „Nürnberger Gesetze“ oder Die Verwaltung des Rassenwahns 1933-1945. Paderborn, München, Wien Zürich: Schöningh 2002.
Funke, Hajo. Der Kampf um die Erinnerung. Hitlers Erlösungswahn und seine Opfer. Hamburg: VSA Verlag 2019.
Lommatzsch, Erik. Hans Globke (1898–1973). Beamter im Dritten Reich und Staatssekretär Adenauers. Frankfurt am Main, New York: Campus 2009.
Longerich, Peter. ‚Davon haben wir nichts gewusst!‘ Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933-45. München: Siedler Verlag 2006.
Oy, Gottfried; Schneider, Christoph. Die Schärfe der Konkretion. Reinhard Strecker, 1968 und der Nationalsozialismus in der bundesdeutschen Historiographie. 2. Auflage Münster: Westfälisches Dampfboot 2014.
Pressemitteilung 251, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA), 6. Juli 2016.
Strecker, Reinhard-M. Dr. Hans Globke. Aktenauszüge. Dokumente, Hamburg: Rütten & Loening 1961.
Taler, Conrad. Asche auf vereisten Wegen – Berichte vom Auschwitz-Prozess. Köln: PapyRossa 2015: „An den Wurzeln des Unheils. Über Fritz Bauers Wirken als politischer Mensch“.
Tuerck, C.H. (Hrsg.). Das Urteil im Wilhelmstrassen-Prozess. Der amtliche Wortlaut der Entscheidung im Fall 11 des Nürnberger Militärtribunals gegen von Weizsäcker und andere. Bürger: Schwäbisch Gmünd, 1950.
Irmtrud Wojak. Eichmanns Memoiren. Mythos und Realität. Berlin: Gemini 2013 (Orig. 2001).
Weblinks:
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/gruetters-deutlich-hoehere-foerderung-kultureller-institutionen-und-projekte-des-bundes-fuer-2017-erreicht-753614. , Abruf am 09.12.2022.
„Max Merten contra Hans Globke“, ZEIT-Artikel vom 05.11.1965, https://www.zeit.de/1965/45/max-merten-contra-hans-globke, Abruf am 14.06.2022.
https://www.spiegel.de/politik/boese-erinnerungen-a-ef2aa1ad-0002-0001-0000-000031882318, Abruf am 04.08.2022.