Warum Gefängnisse
Straffälligenhilfe nach der Entlassung
Fritz Bauer setzte sich stark für die Bildung und Resozialisierung von Häftlingen ein, leistete auch individuelle Bewährungshilfe und wurde, wie Dr. Heinz Meyer-Velde sich erinnerte, auch schon mal zur Beruhigung eines Gefangenen in eine der Haftanstalten gerufen. Die Eingesperrten spürten die Solidarität desjenigen, der selbst Gefängnis und KZ-Haft überlebt hatte. Bauer bezeichnete die Gefangenen als „Meine Kameraden“, was ihm heftige Kritik von Seiten der politischen Opposition in Hessen einbrachte.
1957 gründete Fritz Bauer den Verein „Die Freizeit e.V.“, dessen Name nach seinem Tod um „Gefangenenbildungswerk Dr. Fritz Bauer“ erweitert wurde. Der Verein wirkte für die Resozialisierung der Insassen hessischer Vollzugsanstalten und leistete viel für die berufliche und kulturelle Bildung in den Anstalten, wie Helga Einsele berichtete. Wenn seine stets knappe Zeit es erlaubte, nahm Bauer auch an den durch den Kreis finanzierten Theateraufführungen teil. Mit der Namenergänzung wäre er allerdings kaum einverstanden gewesen, da er das „Stigma des Outsiders“ aufrechterhält, gerade das aber sollten Gemeinschaftsorganisationen vermeiden.
Bauers Einsatz für die Resozialisierung:
Gründung des Vereins „Die Freizeit e.V.“ 1957
„Straffälligenhilfe nach der Entlassung“ (1957)
Fritz Bauers Versuche, zu einer Humanisierung des Strafvollzugs und Verbesserung der Entlassenenfürsorge beizutragen, sind bisher in der Forschungsliteratur wenig beachtet worden. Schon bald nachdem er als Generalstaatsanwalt von Braunschweig nach Frankfurt am Main gewechselt war, publizierte er in der Zeitschrift Bewährungshilfe einen grundlegenden Beitrag, der – wie für Bauer üblich – die Problematik zunächst geschichtlich betrachtete und den politischen Kontext ausleuchtete, um daraus aktuelle Anregungen für Strafrecht, Straftilgung, Sozialreform, Strafverfahren, Strafvollzug und Gefängnisvereine abzuleiten. Das Schlusskapitel widmete er der Öffentlichkeit und den Persönlichkeitsrechten der Straffälligen, speziell dem Recht am eigenen Bild.
Bauer betrachtete die Fürsorge als Teil der Resozialisierungsaufgabe, die „Recht und Pflicht der Gesellschaft gegenüber dem kriminellen Gesetzesübertreter“ sei und insofern Forderungen an Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz erhebe. Intensiv hatte er sich mit der amerikanischen Fürsorge-Praxis auseinandergesetzt und sah die Entlassenenfürsorge zum damaligen Zeitpunkt in einem Übergangsstadium hin zu einer „universellen Behandlung des Entlassenen“. Künftig werde sie sich nicht mehr allein in der Zuwendung von „mildtätigen Gaben“ erschöpfen, sondern in Form von psychischer und sozialer Betreuung auch die Ursachen der Kriminalität mitbekämpfen.
„Die Entlassenenfürsorge will heute nicht nur die Wunde heilen,“ formulierte Bauer, „die die vergeltende Strafe geschlagen hat, sondern die seelischen und sozialen Krankheitskeime beseitigen, die die frühere Tat verursacht haben und eine neue Tat verursachen können.“ Im Hintergrund, so Bauer, stünden die Kriminologie und das Grundgesetz, das sich zum demokratischen und sozialen Rechtsstaat bekenne, dem allein ein ebensolches Strafrecht entspricht. Jeder Mensch in Deutschland habe „einen Anspruch darauf, daß ihm der Staat leiblich, seelisch und gesellschaftlich hilft, frei und zur Gemeinschaft fähig zu werden.“
In seinem ebenfalls 1957 gehaltenen Vortrag auf der Jahreshauptversammlung des Flieder-Vereins e.V. Rockenberg (Hilfsverein für junge Straffällige) führte Bauer an konkreten Beispielen der Selbstverwaltung und Gruppen-Therapie im Strafvollzug aus, welche neuen Impulse und Erfolgschancen für die Resozialisierung er von einer pädagogischen Einstellung gegenüber den Straffälligen erwartete. Grundgedanke seiner Ausführungen war stets, dass die Menschen des Grundgesetzes nicht mehr um des Staates und seiner Gesetze willen, sondern umgekehrt, Staat und Gesetz um des Menschen willen da sind.
Bauers Anregungen und Kritik zum Reformentwurf
„Ein demokratisches Strafrecht beruht nicht auf einem Oben und Unten, auf der Repression, sondern auf der Gleichheit und Solidarität aller Staatsbürger und zielt auf ‚Sozialisierung‘ (’socialising‘) oder ‚Resozialisierung‘ des Täters aus dem Geist mitbürgerlicher und mitmenschlicher Verantwortung“, so lautete Bauer Anliegen an die notwendige Reform des Strafrechts. (5)
Als der Entwurf der „Großen Strafrechtskommission“ publiziert wurde, kritisierte Bauer, die konservative Ausrichtung der Reform sei „nicht frei von den überholten Schlacken eines normativen Schuldstrafrechts“, daher bleibe ihr Auftrag Stückwerk. Im Strafrecht forderte er beispielsweise, dass die Zuchthausstrafe abgeschafft werde, ebenso Ehrenstrafen (wie die Aberkennung des Wahl- und Stimmrechts, die im demokratischen Staat nicht Recht, sondern politische Pflichten seien). Erst ein Jahr nach Bauers Tod wurde in der Großen Strafrechtsreform die Abschaffung der Zuchthausstrafe und weiterer Formen der Gefängnisstrafen beschlossen. Es wurde sich auf die einheitliche Freiheitsstrafe festgelegt, diese Reform trat wiederum ein Jahr später, 1970, in Kraft. In der Polizeiaufsicht nach der Entlassung (vor allem der unbedingten) sah er eine im Grunde „sinn- und wertlose Maßnahme“. Bezüglich der Straftilgung forderte Bauer, die Sperr- und Tilgungsfristen herabzusetzen und auf die neue Stufe der „Vernichtung“ (nach 25 Jahren) zu verzichten, da sie die Rechtsstellung des Verurteilten verschlechtere. (6)
Die Entlassenenfürsorge war für Bauer auch ein Anliegen der Sozialreform, das heißt einer Änderung der Sozialgesetzgebung, die der Situation der Gefangenen in der Kranken- und Unfallversicherung Rechnung tragen müsse, ebenso in der Alters- und Arbeitslosenversicherung. Beispielsweise müssten die Anwartschaften auf Renten der Versicherungen aufrechterhalten bleiben oder den Gefangenen eine freiwillige Fortsetzung der Versicherung ermöglicht werden, was eine rechtsstaatliche Regelung der Arbeitsentlohnung von Gefangenen bedeute – praktisch eine Erhöhung der Arbeitsentlohnungen, was wiederum der Resozialisierung zugute käme und zur Entlastung der Gemeinden beitrage.
Eine weitere Anregung von Bauer betraf die Demokratisierung des noch immer „von autoritärem Geist“ erfüllten Strafverfahrens. Er legte Wert darauf, dass der Angeklagte nie nur ein Angeklagter ist, „er ist ein Mensch wie jeder andere mit guten und schlechten Seiten. Dieser ganze Mensch steht vor Gericht“. Er plädierte dafür, das Experiment der Bewährungshilfe vor allem bei rückfälligen Tätern zu wagen und überhaupt das Instrument der Bewährungshilfe und ihrer Aussetzung ernster zu nehmen.
Alles was die Vollzugsanstalten tun, der gesamte Strafvollzug, sollte Entlassenenfürsorge sein. Bauer regte an, dass die Gefangenen intensiven Kontakt mit der Außenwelt pflegen können, um ihnen wenigstens teilweise die Angst vor der Entlassung zu nehmen. Briefverkehr, Zugang zu Zeitungen und Rundfunk, so Bauer, seien vorweggenommene Nachbetreuung und Institutionen wie das Freigängertum sollten wieder belebt werden.
Die Nachfürsorge, so Bauer in seinem Beitrag von 1957, müsse vor allem eine genossenschaftliche Hilfe sein, für die es in größerer Zahl ehrenamtliche Vereine bedürfe, die den Gefangenen beziehungsweise Entlassenen soziale Bestätigung und ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln, das ihnen die übrige Gesellschaft versage.
Warum also Gefängnisse? Bauer sah Gefängnisse als Chance der Resozialisierung. Die verbüßte Zeit sollte auf die Zeit danach vorbereiten, demokratische Pflichten wie das Wahlrecht aufrechterhalten werden und gesellschaftliche Teilhabe durch regelmäßige Besuche und den Kontakt nach außen, aber auch die Möglichkeit zu gerechter Entlohnung von Arbeit und damit gegebene Möglichkeiten der Selbstverwaltung durch Versicherungen etc. gewahrt werden.
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Fritz Bauer’s Büro 1968
Glossar
Quellen- und Literaturhinweise
Fritz Bauer, „Die Schuld im Strafrecht (1962)“, in: ders., Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Hrsg. v. Joachim Perels und Irmtrud Wojak. Frankfurt am Main/New York: Campus: 1998, S. 249-278.
Fritz Bauer, „Selbstverwaltung und Gruppen-Therapie im Strafvollzug“. Sonderdruck aus Recht der Jugend, 5. Jg. (1957), H. 17-19, S. 3-23.
Fritz Bauer, „Straffälligenhilfe nach der Entlassung (1957)“, in: ders., Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Hrsg. v. Joachim Perels und Irmtrud Wojak. Frankfurt am Main/New York: Campus: 1998, S. 315-339.
Nachruf von Günter Platzdasch und Heiner Halberstadt (zuletzt abgerufen am 1.10.2015: http://www.linksnet.de/de/artikel/19041).