Chronik des Holocausts
1933 – 1937
„Wilde Aktionen“ und
Beginn der Verfolgung der Juden und Jüdinnen
Adolf Hitler wird von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt und bildet das Kabinett der „nationalen Konzentration“ (Koalition der NSDAP mit der Deutschnationalen Volkspartei, DNVP). Im Parlament besitzt er keine Mehrheit.
Nach dem Reichstagsbrand: Die Verordnung des Reichspräsidenten „zum Schutze von Volk und Staat“ setzt die Grundrechte der Bürger außer Kraft und ermöglicht Hitler die Ausschaltung der politischen Gegner, vor allem der Kommunist*innen und Sozialist*innen.
Die Reichstagswahlen bringen der Regierung der „nationalen Konzentration“ eine hauchdünne Mehrheit (51,9 Prozent).
Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte auf dem Berliner Kurfürstendamm, Übergriffe in Chemnitz, Gleiwitz und Breslau.
Errichtung des KZ Dachau, am 21. März des Gestapo-Gefängnisses Oranienburg.
Beurlaubung jüdischer Richter*innen und Staatsanwält*innen in Bayern und Preußen, zahllose weitere Berufsverbote folgen.
Mit ausdrücklicher Billigung Adolf Hitlers antwortet ein von Gauleiter Julius Streicher und Propagandaminister Goebbels gebildetes „Aktionskomitee“ auf amerikanische Drohungen mit einem Einfuhrstopp deutscher Waren mit einem zunächst für eine Woche geplanten Boykott jüdischer Geschäfte. Die Aktion, die auf Widerstände in der Regierung stößt, wird von Hitler daraufhin auf einen Tag begrenzt. Die ausbleibende Zustimmung der deutschen Öffentlichkeit zeigt, dass die Mobilisierung gegen die Juden und Jüdinnen vorerst noch wenig Chancen besitzt.
„Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ zur bereits begonnenen Ausschaltung politisch mißliebiger sowie aller „nichtarischen“ Beamt*innen; davon sind auch jüdische Wissenschaftler*innen betroffen, die in großer Zahl vor allem ihre Positionen an den Universitäten verlieren. Auf Drängen Hindenburgs schränkt eine Ausnahme für Frontkämpfer den Wirkungskreis des Gesetzes namentlich für den höheren Dienst ein. Am 4. Mai folgt eine entsprechende Regelung für Arbeiter*innen und Angestellte im öffentlichen Dienst.
Jüdische Lehrer*innen werden aus den Lehrerverbänden ausgeschlossen. Der Deutsche Apothekerverein führt den „Arierparagraphen“ ein. Jüdischen Ärzt*innen wird die Zulassung zur Krankenkasse entzogen, Neuzulassungen werden verboten. Vom 25. April an gilt der „Arierparagraph“ auch für Sportvereine.
Das „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ verfügt unter diesem Vorwand die zahlenmäßige Beschränkung jüdischer Schüler*innen auf 1,5 Prozent.
Von der „Deutschen Studentenschaft“ betriebene und von Goebbels unterstützte „Aktion wider den undeutschen Geist“. In allen größeren Universitätsstädten werden Bücher jüdischer und nicht-jüdischer Autor*innen verbrannt: unter anderem die Werke von Karl Marx und Karl Kautsky, Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner, Friedrich Wilhelm Foerster, Siegmund Freund, Emil Ludwig und Werner Hegemann, Theodor Wolff und Georg Bernhard, Erich Maria Remarque, Alfred Kerr, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky.
„Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“: richtet sich vor allem gegen jüdische Zuwanderer*innen aus den ehemaligen Ostgebieten; bis 1939 rund 9.000 namentliche Ausbürgerungen.
Runderlass des Reichsfinanzministers; demnach ist „jüdische Auswanderung“ zu fördern – nach Ausplünderung durch die Erhebung der „Reichsfluchtsteuer“. Durch sie wird praktisch die Auswanderung erschwert.
In zahlreichen Orten, voran in Berlin-Wannsee, ergeht ein „Badeverbot für Juden“ in öffentlichen Bädern.
Gründung der „Reichsvertretung der deutschen Juden“; Präsident: Leo Baeck.
„Reichskulturkammergesetz“ schließt Juden und Jüdinnen von künstlerischen und journalistischen Berufen aus.
„Reichserbhofgesetz“: Deutsche*r Bauer*in kann nur sein, wer im Stammbaum bis ins Jahr 1800 zurück „kein jüdisches oder farbiges Blut“ hat.
Zahlreiche höhere SA-Führer werden wegen eines angeblich geplanten Putsches von der SS und Gestapo festgenommen und erschossen. SA-Führer Ernst Röhm wird am. 30. Juni von Hitler verhaftet und tags darauf hingerichtet (insgesamt mehr als 83 Tote). Hitler beseitigt mit der Ausschaltung der SA eines der letzten Hindernisse auf dem Weg zur Führerdiktatur.
Reichspräsident Paul von Hindenburg stirbt. Hitler wird „Führer und Reichskanzler“, zugleich Oberbefehlshaber der Wehrmacht, die fortan auf ihn vereidigt wird.
Juden und Jüdinnen ist das Hissen der Hakenkreuz- und der schwarz-weiß-roten Reichsflagge verboten.
Gesetz über den Wideraufbau der Wehrmacht und Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht; durch Gesetz vom 21. Mai 1935 sind Juden zur Offizierslaufbahn nicht mehr zugelassen; am 25. Juli werden „Nichtarier“ vom Wehrdienst ausgeschlossen.
Der Stellvertreter des „Führers“, Rudolf Heß, erneuert die Anordnung: „Parteimitgliedern ist persönlicher Verkehr mit Juden verboten“, ebenso der Einkauf in jüdischen Geschäften.
Verordnung: „An die für Deutschland im Weltkrieg gefallenen Juden darf nicht mehr erinnert werden“.
Verstärkte Boykottpropaganda gegen Juden und Jüdinnen: Alle Kommunalbehörden sowie Parteidienststellen und NS-Organisationen sollen die „nationale Aufgabe“ des Wirtschaftsboykotts durchführen. Gleichzeitig wird Juden und Jüdinnen der Besuch von Kinos, Schwimmbädern, Erholungsanlagen und Kurorten verboten.
„Parteitag der Freiheit“, bei dem der Reichstag die „Nürnberger Gesetze“ (15. September) beschließt:
- „Reichsbürgergesetz“: Reichsbürger sind nur Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes. Der Reichsbürger ist der alleinige Träger der politischen Rechte
- „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“: § 1: Eheschließungen zwischen Juden und Jüdinnen und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes sind verboten. Trotzdem geschlossene Ehen sind nichtig. § 2: Außerehelicher Verkehr zwischen Juden und Jüdinnen und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes ist verboten. § 3: Juden und Jüdinnen dürfen weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren in ihrem Haushalt nicht mehr beschäftigen.
Die bis 1943 erlassenen Durchführungsverordnungen schaffen den rechtstechnischen Rahmen für die antijüdischen Maßnahmen im Deutschen Reich.
Nach monatelangen Auseinandersetzungen zwischen Partei und Ministerialbürokratie wird mit der 1. Durchführungsverordnung zum „Reichsbürgergesetz“ festgelegt: Juden und Jüdinnen können nicht Reichsbürger*innen sein, haben kein politisches Stimmrecht und können kein öffentliches Amt bekleiden. „Halbjuden“, sofern nicht der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörig oder mit Juden und Jüdinnen verheiratet, sind von den „Nürnberger Gesetzen“ ausgenommen.
Zulassungsverbot für „nichtarische“ Ärzt*innen; Verbot für Juden und Jüdinnen, Apotheken zu pachten.
1. Durchführungsverordnung: Jüdische Ärzt*innen, Professor*innen und Lehrer*innen werden aus dem Staatsdienst entfernt.
Der Präsident des „Volksgerichtshofs“, Otto Thierack, wird ernannt. Thierack wird am 20. August 1942 Reichsjustizminister und Roland Freisler sein Nachfolger als Präsident des Volksgerichtshofs. Von 1934-1944: 14.319 Angeklagte, 5.214 Todesurteile.
Juden und Jüdinnen wird Viehhandel verboten.
„Deutsches Beamtengesetz“: Nur Personen „deutschen oder artverwandten Blutes“, die nicht mit Juden und Jüdinnen verheiratet sind, können verbeamtet werden.
Juden und Jüdinnen dürfen keine Notariate mehr übernehmen.
Geheimerlass des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich: „Jüdische Rassenschänder“ sind nach Gefängnishaft ins KZ einzuweisen.
Errichtung des Konzentrationslagers Buchenwald.
Im Münchner Haus der Kunst wird die Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet, zusammengestellt auf Wunsch Hitlers vom Präsidenten der Kunstkammer Hans Ziegler. In der Propagandaschau werden Werke der Moderne als „jüdische Zersetzung“ oder als „Kulturbolschewismus“ verunglimpft, sie zieht täglich um die 20.000 Besucher*innen an, darunter nicht wenige, die die verfemten Bilder noch einmal sehen wollen.
Reichspropagandaminister Goebbels eröffnet die Wanderausstellung „Der ewige Jude“ in München (in acht Wochen 400.000 Besucher*innen im Deutschen Museum).
1938
Zerstörung des jüdischen
Lebens in Deutschland
Einmarsch deutscher Truppen in Österreich. In der Begeisterung über den „Anschluss“ kommt es zu schweren Ausschreitungen gegen die österreichischen Juden und Jüdinnen. In der Folge werden in Wien allein 8.000 Einzelhandelsgeschäfte „arisiert“ oder aufgelöst. Der Bereicherungsfeldzug der NSDAP, SA und SS übertrifft alles, was an „wilden“ Aktionen im Reich bislang geschehen war. Beginn der Massenflucht österreichischer Juden und Jüdinnen.
Die Vorgänge in Österreich verstärken den materiellen Appetit der reichsdeutschen Parteifunktionäre auf das Vermögen der Juden und Jüdinnen und entfalten eine nachhaltige Schubwirkung. Die private und amtliche Bereicherung stößt auf den Widerstand Hermann Görings, der die Finanzen des Vierjahresplans mit dem „jüdischen Vermögen“ aufbessern will. Die Verordnung über die Anmeldung aller „jüdischen Vermögen“ über 5.000 Reichsmark steht am Beginn einer endlosen Kette von Maßnahmen, die den Ausschluss der Juden und Jüdinnen aus dem Wirtschaftsleben zum Ziel haben und die bereits im Gang befindliche „Arisierung“ beschleunigen.
Beginn des Abbruchs der Münchner Hauptsynagoge „aus verkehrstechnischen Gründen“ (am 10. August in Nürnberg).
Joseph Goebbels schürt als Gauleiter von Berlin Übergriffe gegenüber Geschäften und Warenhäusern jüdischer Eigentümer*innen, doch stoppt Heydrich für den SD die Pogromwelle, weil sie dem erklärten Ziel, die „Auswanderung der Juden und Jüdinnen“ zu forcieren, zuwiderläuft.
Errichtung des KZ Dachau, am 21. März des Gestapo-Gefängnisses Oranienburg.
4. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“: Approbationen jüdischer Ärzt*innen erlöschen am 1. September, für Zahnärzt*innen, Tierärzt*innen und Apotheker*innen am 17. Januar 1939.
Eine Gruppe von 300 österreichischen und deutschen Häftlingen aus dem KZ Dachau beginnt mit dem Aufbau des Konzentrationslagers Mauthausen in der Nähe von Linz (Oberösterreich). Mauthausen ist bis 1942, als die KZ immer mehr als Arbeitskräftereservoir für die Rüstungsindustrie genutzt werden, ein Todeslager, in dem „Vernichtung durch Arbeit“ eine herausragende Rolle spielt.
Juden und Jüdinnen, die keinen als „jüdisch“ erkennbaren Vornamen tragen, müssen ab 1. Januar 1939 zusätzlich den Namen Israel bzw. Sarah führen.
Antisemitische Übergriffe in Kassel, Rotenburg, Bebra und anderen hessischen Städten; Verschärfung der antisemitischen Hetze durch Julius Streichers Wochenblatt Der Stürmer.
Berufsverbot für jüdische Rechtsanwält*innen.
Reisepässe und Kennkarten von Juden und Jüdinnen werden eingezogen, Neuausstellung nur mit Aufdruck „J“.
Juden und Jüdinnen, die aus öffentlichen Mitteln unterstützt werden, sind in „geschlossenem Arbeitseinsatz“ zu beschäftigen.
Die Gestapo versucht, rund 17.000 Juden und Jüdinnen polnischer Staatsangehörigkeit nach Polen abzuschieben; diese werden an der Grenze zurückgewiesen, darunter die Eltern von Herschel Grynszpan.
Novemberpogrome: Goebbels nimmt die Ermordung des Botschaftsrats Ernst-Wilhelm vom Rath in Paris durch Herschel Grynszpan (7. November), der damit auch gegen die Vertreibung seiner Eltern über die Grenze nach Polen protestiert, zum Anlass für eine antijüdische Großaktion. Nur Parteikader nehmen an dem Pogrom teil, das keine allgemeine Verfolgung der Juden und Jüdinnen in Gang bringt. 267 Synagogen werden zerstört, rund 7.500 Geschäfte und fast alle Friedhöfe verwüstet, etwa 30.000 Juden und Jüdinnen verhaftet und in KZ eingewiesen. Die Nazi-Bilanz verzeichnet 91 Todesfälle (laut NS-Parteigericht) und 36 Schwerverletzte. An die Gestapodienststellen ergeht Weisung: „Plünderer sind zu verhaften“, jedoch unterbindet das Reichsjustizministerium die Ermittlungen. Die Presse soll nicht über die Vorfälle berichten.
In der von Göring einberufenen Sitzung über die Vorgänge des 9./10. November verurteilt er die Zerstörung von „Volksgut“ und befiehlt „Maßnahmen zur Arisierung der Wirtschaft“. In der „Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben“ wird den Betroffenen auferlegt, „alle Schäden, die durch die Empörung des Volkes über die Hetze des internationalen Judentums gegen das nationalsozialistische Deutschland am 8., 9. und 10. November“ entstanden sind, auf eigene Kosten zu beseitigen. Versicherungsansprüche von Juden und Jüdinnen werden zugunsten des Reiches beschlagnahmt.
In der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ wird der Betrieb von Einzelhandelsgeschäften sowie Handwerks- und Gewerbebetrieben untersagt und den Juden und Jüdinnen als „Strafe für die ruchlosen Verbrechen“ eine Kontribution in Höhe von mehr als 1 Milliarde Reichsmark auferlegt. Von rund 40.000 Betrieben jüdischer Eigentümer sind nach einem Jahr fast 15.000 arisiert und 6.000 liquidiert.
Juden und Jüdinnen wird das Halten von Brieftauben untersagt.
Die „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ leitet die Zwangsarisierung des gesamten jüdischen Besitzes ein. Zugleich müssen die Betroffenen Wertpapiere und Kapitalbeteiligungen, Juwelen und Kunstgegenstände hinterlegen oder bei staatlichen Ankaufsstellen veräußern. Damit beginnt die vollständige Enteignung der jüdischen Bevölkerung. Führerscheine und Kfz-Zulassungen werden Juden und Jüdinnen entzogen.
1939/40
Ende der Auswanderungspolitik und
Suche nach einer Reservatslösung
Auf Befehl Görings wird die „Reichszentrale für jüdische Auswanderung“ unter Heydrich gegründet. Die in der „Reichsvereinigung der deutschen Juden“ zwangsvereinigten jüdischen Organisationen werden ihr unterstellt. Als Geschäftsführer setzt Heydrich Gestapo-Chef Heinrich Müller ein. Dieser beauftragt im Dezember 1939 Hauptsturmführer Adolf Eichmann, der zuvor die erste „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien gegründet hat, mit der Leitung der „Reichszentrale“. Damit übernehmen SD und SS die Schlüsselrolle in der Politik gegen die Juden und Jüdinnen.
Göring erklärt wörtlich: „Die Auswanderung der Juden aus Deutschland ist mit allen Mitteln zu fördern“, doch diese Stoßrichtung der nationalsozialistischen Politik gegen Juden und Jüdinnen wird durch die rapide Verarmung der Betroffenen immer schwieriger.
Auf Grund der Volkszählung vom Mai 1939 leben noch rund 233.000 Juden und Jüdinnen und 80.000 sogenannte „Mischlinge“ im Deutschen Reich.
Hitler droht in einer Reichstagsrede: „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“ Mit dieser von ihm später mehrfach wiederholten Ankündigung will Hitler Druck ausüben auf die an der Konferenz von Evian beteiligten Staaten, von denen erwartet wird, dass sie die Auswanderung der deutschen Juden und Jüdinnen durch Bereitstellung von Devisen und Siedlungsland ermöglichen.
Einmarsch der Wehrmacht in die Tschechoslowakei; Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“, danach (1. August) Gründung der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Prag.
Das „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ schafft die Voraussetzung für die jederzeitige Kündigung und Unterbringung der Betroffenen in sogenannten „Judenhäusern“; der gesetzliche Mieterschutz entfällt.
10. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“: Die „Reichsvertretung der deutschen Juden“ wird in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ umgewandelt und zur Durchführung der Deportationen gezwungen (1943 aufgelöst).
Einmarsch in Polen, Beginn des Zweiten Weltkriegs: Durch die Eroberung von Polen wächst die Zahl der im deutschen Machtbereich lebenden Juden und Jüdinnen auf rund vier Millionen – was alle Pläne für eine organisierte Auswanderung zunichtemacht.
Errichtung des KZ Stutthof bei Danzig.
Auf diesen Tag rückdatierter „Führerbefehl“ zur Ermordung psychisch Behinderter. Das „Euthanasieprogramm“ (Aktion „T 4“, genannt nach dem Sitz der Zentrale in der Berliner Tiergartenstraße Nr. 4) lief im Herbst an; im Dezember 1939/ Januar 1940 kam es zu ersten Vergasungen in Brandenburg-Görden.
Eine Gruppe von 300 österreichischen und deutschen Häftlingen aus dem KZ Dachau beginnt mit dem Aufbau des Konzentrationslagers Mauthausen in der Nähe von Linz (Oberösterreich). Mauthausen ist bis 1942, als die KZ immer mehr als Arbeitskräftereservoir für die Rüstungsindustrie genutzt werden, ein Todeslager, in dem „Vernichtung durch Arbeit“ eine herausragende Rolle spielt.
Gründung des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), des organisatorischen Zentrums des NS-Terrors; Judenreferent Eichmann organisiert von dort aus bereits am 18. und 20. Oktober erste Deportationen aus Österreich und dem „Protektorat“ nach Polen (Nisko am San).
Heydrich unterrichtet seine Amtschefs und die „Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD“, die hinter der kämpfenden Truppe Juden und Jüdinnen und Pol*innen exekutieren, von der Absicht, die jüdische und polnische Bevölkerung aus den zu annektierenden Westgebieten (Danzig/Westpreußen, Posen und Ostoberschlesien) in den angrenzenden „fremdsprachigen Gau“ (bald darauf „Generalgouvernement“ genannt) abzuschieben. Heydrich erwägt dafür die Schaffung eines „Reichsghettos“, das zunächst bei Krakau, dann bei Lublin gebildet werden soll.
Ende des Polenfeldzugs, Annexion der westpolnischen Gebiete und Bildung des „Generalgouvernements“, das gegen den Widerstand des zum Generalgouverneur ernannten Hans Frank als Auffangbecken für die zu deportierenden Juden und Jüdinnen dienen soll. Frank erwägt, die polnischen Juden und Jüdinnen auf sowjetisches Territorium abzuschieben.
Himmler, inzwischen zum „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ bestellt, ordnet die Abschiebung von 500.000 Juden und Jüdinnen und Pol*innen aus den annektierten westpolnischen Gebieten – „Warthegau“ (Posen) und Danzig-Westpreußen – in einen noch nicht näher bestimmten Raum zwischen Weichsel und Bug („Generalgouvernement“) an.
Eichmann wird von Heydrich zum „Sonderbeauftragten für Räumungsangelegenheiten“ im Amt IV D 4 des RSHA ernannt und damit beauftragt, die Deportation von Juden und Jüdinnen sowie die Umsiedlung der Volksdeutschen aus dem Baltikum und dem sowjetischen Ostpolen in die deutschen Ostprovinzen durchzuführen.
Erste Massendeportation von rund 87.000 Juden und Jüdinnen und Pol*innen aus dem „Warthegau“ ins „Generalgouvernement“.
Erste Deportation von Juden und Jüdinnen aus dem Reichsgebiet (Stettin, Schneidemühl und Stralsund) nach Lublin, um Platz für Volksdeutsche zu schaffen.
Göring untersagt auf Drängen von Generalgouverneur Frank weitere Abschiebungen in das „Generalgouvernement“, damit scheitert das Projekt eines „Judenreservats“ bei Lublin.
Bildung des Ghettos Łódź, das zum stets überfüllten Umschlagplatz für deportierte Juden und Jüdinnen aus dem Reichsgebiet, dem Warthegau und dem Protektorat Böhmen und Mähren wird. Die unzureichende Ernährung führt im Juli 1941 zu ersten Erwägungen in Eichmanns Judenreferat, wie man die „nicht arbeitsfähigen Juden“ beseitigen könnte.
Himmler ernennt SS-Hauptsturmführer Rudolf Höß zum Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz.
Denkschrift Himmlers über die Behandlung der „Fremdvölkischen im Osten“: Die dort lebende Bevölkerung, die als minderwertig betrachtet wird, soll „als führerloses Arbeitsvolk zur Verfügung stehen und Deutschland jährlich Wanderarbeiter und Arbeiter für besondere Arbeitsvorkommen (Straßen, Steinbrüche, Bauten) stellen.“
14. Juni 1940
Auschwitz wird als Quarantänelager „in Betrieb“ genommen, wo polnische (politische) Häftlinge „umsortiert“ und in andere Lager weitergeleitet werden.
Der Chef des RSHA, Heydrich, schlägt dem Auswärtigen Amt eine „territoriale Endlösung“ in Übersee vor, da das Gesamtproblem durch Auswanderung nicht zu bewältigen sei. Er greift den zuvor im Auswärtigen Amt erwogenen Plan auf, die französische Insel Madagaskar zum „Judenreservat“ zu machen.
Juden und Jüdinnen im Reich werden die Telefonanschlüsse gekündigt.
Uraufführung des Propagandafilms Jud Süss, Regie Veit Harlan.
Erlass des Reichministers der Luftfahrt und Oberbefehlshabers der Luftwaffe: „Die Benutzung von Luftschutzräumen von Juden kann praktisch nicht verhindert werden, doch soll auf ihre Abtrennung von den übrigen Bewohnern geachtet werden.“
Deportationen von Juden und Jüdinnen aus Baden, der Saarpfalz und dem Elsass in das nicht besetzte (von Vichy regierte) Südfrankreich.
Abriegelung des jüdischen Ghettos in Warschau; darin werden 400.000 Menschen zusammengepfercht.
Uraufführung des Films Der ewige Jude (Regie: Fritz Hippler), den Goebbels im Oktober 1939 in Auftrag gegeben hat.
In einer von Eichmann verfassten Vortragsnotiz für Himmler heißt es: „Nach dem Hinzutreten der Massen des Ostens ist eine Bereinigung des Judenproblems durch Auswanderung unmöglich geworden.“ Das betrifft nach Eichmanns Berechnung 5,8 Millionen Juden und Jüdinnen.
1941/42
Vernichtung der sowjetischen Juden und Jüdinnen durch
Einsatzkommandos, SS-Brigaden und Polizeibataillone
Der Chef des RSHA, Heydrich, kündigt die Umsiedlung von 831.000 Pol*innen und Juden und Jüdinnen aus den mit dem Deutschen Reich vereinigten Ostgebieten ins „Generalgouvernement“ an.
Deportation von Wiener Juden und Jüdinnen ins „Generalgouvernement“ – damit beginnt Eichmann die systematische Vertreibung der Juden und Jüdinnen aus dem Reichsgebiet sowie der bis dahin eroberten Territorien. Zunächst werden 5.000 alte und kranke Menschen abtransportiert.
Reichsführer SS Himmler besichtigt erstmals das KZ Auschwitz. Er befiehlt, Auschwitz I für 30.000 und Auschwitz II für 100.000 sowjetische Kriegsgefangene auszubauen.
Eichmann übernimmt im Rahmen des neuen Geschäftsverteilungsplans des RSHA das Amt IV B 4 mit dem Aufgabenbereich „Judenangelegenheiten, Räumungsangelegenheiten“ (ab November 1941 einfach nur noch „Juden“).
Vor den Truppenkommandeuren verkündet Hitler die Ziele des „rassischen Vernichtungskrieges“, der zur Zerschlagung der Sowjetunion und Liquidierung des „jüdischen Bolschewismus“ führen müsse. Hitler stößt auf keinen Widerspruch, vielmehr nehmen prominente Truppenführer die antisemitische Diktion in Anweisungen an die Truppe auf. Die „Weisung Nr. 21“ (Fall Barbarossa) unterzeichnete Hitler bereits am 18. Dezember 1940.
SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich und Generalquartiermeister Eduard Wagner vereinbaren, dass die „Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD“ im Krieg gegen die Sowjetunion – anders als im Falle Polen – selbständig und „in eigener Verantwortung“ im Operationsgebiet des Heeres eingesetzt werden und damit nicht den Truppenteilen der Wehrmacht unterstellt sind. Die vier den Heeresgruppen zugeordneten Einsatzgruppen A bis D sind die Hauptträger des Vernichtungskrieges.
„Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Rußland“: Das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) fordert „rücksichtsloses und energisches Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden“. Bereits jetzt wird festgelegt, dass Wehrmachtsangehörige wegen solcher, bislang strafbarer Handlungen nicht verfolgt werden sollen. Damit wird willkürlicher Gewaltanwendung gegen Zivilist*innen und Übergriffen gegen Juden und Jüdinnen ein Freibrief erteilt. In diesen Zusammenhang gehört auch der sogenannte „Kommissarbefehl“ (6. Juni) zur Liquidierung der sowjetischen Führungsoffiziere.
Heydrich erklärt vor den Chefs der „Einsatzgruppen“: Der „Weltanschauungskampf“ solle mit rücksichtsloser Härte geführt werden. Auch alle Juden und Jüdinnen in sowjetischen Partei- und Staatsstellungen seien zu liquidieren.
Himmler lässt einen „Generalplan Ost“ ausarbeiten: Danach sollen 31 Millionen der Bevölkerung Osteuropas vertrieben, das Land zur Ansiedlung von 4,5 Millionen deutscher Bäuer*innen benutzt werden.
Beginn des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion.
Brief des Chefs der Umwandererzentralstelle in Posen, Höppner, an seinen Vorgesetzten Eichmann im RSHA: Danach gibt es im Warthegau bereits Erwägungen, die „nicht arbeitseinsatzfähigen“ Juden und Jüdinnen wegen der im Winter zu erwartenden Lebensmittelknappheit durch „irgendein schnell wirkendes Mittel zu erledigen“.
Himmler beauftragt den ehemaligen Wiener Gauleiter Odilo Globocnik, seit 1939 SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin, ein Konzentrationslager für bis zu 50.000 Häftlinge zu errichten. Der Reichsführer-SS bevollmächtigt ihn ferner, zur Besiedlung des neu eroberten „Ostraums“ SS-Stützpunkte (Zwangsarbeitslager) zu bilden. Mit dem SS- und Polizeiführer Friedrich Katzmann in Galizien wird Globocnik zum Hauptakteur der Liquidierung sämtlicher polnischer Juden und Jüdinnen und zum Motor der „Vernichtung durch Arbeit“. Beim Ausbau der Durchgangsstraße von Lemberg in die südliche Ukraine sterben die meisten jüdischen Zwangsarbeiter*innen an Entkräftung.
Heydrich lässt sich von Göring beauftragen, „alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet in Europa“. Göring verlangt dazu einen Gesetzentwurf. Damit sichert sich Heydrich die Zuständigkeit für die territoriale „Endlösung der Judenfrage“, die nunmehr, nach der Zerschlagung der Sowjetunion, durch „Abschiebung nach dem Osten“ erfolgen soll.
Das 1939 von den Sowjets besetzte polnische Ostgalizien wird nach dem Einmarsch deutscher Truppen zum Schauplatz brutaler Pogrome – verübt sowohl von ukrainischen Nationalist*innen wie von SS-Einsatzkommandos. Bis Jahresende fallen den Massenerschießungen an die 60.000 Menschen zum Opfer.
Die „Einsatzgruppen“ beginnen mit der Liquidierung der jüdischen Bevölkerung einschließlich Frauen und Kindern in der Sowjetunion; desgleichen mit Massakern als angeblichen „Sühnemaßnahmen“ wegen Sabotage.
Die Stärke der Einsatzgruppen beträgt mehr als 3.000, die zu ihrer Verstärkung eingesetzten SS-Brigaden und Polizeibataillone weitere etwa 20.000 Mann.
SS-Brigadeführer Dr. Walther Stahlecker, Leiter der Einsatzgruppe A, formuliert als Zielsetzung „eine fast 100% sofortige Säuberung des gesamten Ostlandes von Juden“.
Reichsführer-SS Himmler lässt sich in Minsk eine Massenexekution vorführen. Angeblich soll er sich geekelt haben und am gleichen Tag befohlen haben, die Insassen einer Heilanstalt bei Minsk mit einem „weniger grausamen“ Mittel töten zu lassen.
Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden und Jüdinnen im Deutschen Reich, die am 15. September in Kraft tritt: Vom sechsten Lebensjahr an müssen sie den „Judenstern“ tragen.
Am gleichen Tag ergeht die Anordnung, dass es Juden und Jüdinnen verboten ist, ihren Wohnbezirk ohne schriftliche Genehmigung der Ortspolizei zu verlassen.
Erste Massenvergasungen durch Zyklon B in Auschwitz; bei einer Aktion werden 250 kranke Häftlinge und 600 sowjetische Kriegsgefangene im Keller von Block 11 ermordet.
Himmler erklärt – in einem Brief an den Gauleiter im „Warthegau“, Arthur Greiser –, Hitler wünsche, „dass möglichst bald das Altreich und das Protektorat vom Westen nach Osten von Juden geleert und befreit“ werden.
Himmler befiehlt den Bau des Lagers Birkenau (Auschwitz II) für 100.000 Häftlinge.
SS-Gruppenführer Heydrich wird „Reichsprotektor von Böhmen und Mähren“.
Als Vergeltungsmaßnahme für eine angebliche Sabotageaktion in Kiew werden 33.771 Juden und Jüdinnen in der Schlucht von Babyn Jar erschossen. Ähnliche Massaker verüben die Einsatzgruppen in Kamenez-Podolsk (Ende August 1941), Mahiljou (Oktober 1941) und anderswo. Am 23. Oktober 1941 sah sich Himmler eine Massenerschießung in Mahiljou an und ordnete danach an, andere Tötungsmethoden zu suchen.
Der Oberbefehlshaber der 6. Armee, Generalfeldmarschall Walter von Reichenau, verlangt von den Soldaten „für die harte, aber gerechte Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis“ und befiehlt, „Erhebungen im Rücken der Wehrmacht, die erfahrungsgemäß stets von Juden angezettelt“ würden, „im Keime zu ersticken“. Der Befehl bezeugt die Mitverantwortung der Wehrmacht bei der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung – unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung.
Ein identischer Befehl ergeht am 20. November 1941 durch den Oberbefehlshaber der 11. Armee, Generaloberst Erich von Manstein.
„Blutsonntag in Stanislau“: Die Sicherheitspolizei verübt ein Massaker an einem Viertel der jüdischen Einwohner der ostgalizischen Stadt, für die angeblich kein Platz vorhanden ist. Mit diesen und anderen Pogromen begann der Völkermord an den Juden und Jüdinnen im „Generalgouvernement“.
Eichmann organisiert erste Deportation aus dem Reichsgebiet ins Ghetto Łódź: 20.000 Juden und Jüdinnen aus Berlin, Köln, Frankfurt, Hamburg, Düsseldorf, Wien und Prag sowie 5.000 Sinti*zze und Rom*nja aus dem Burgenland.
In der „Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen im Generalgouvernement“ wird Juden und Jüdinnen der Aufenthalt außerhalb der Ghettos untersagt. Sie werden in Arbeitslager gebracht. Zwei Tage später stimmt Generalgouverneur Hans Frank der „Umsiedlung“ der Juden und Jüdinnen aus dem Distrikt Lublin und damit deren physischer Vernichtung zu.
Die Auswanderung von Juden und Jüdinnen aus dem deutschen Herrschaftsbereich wird verboten.
Errichtung des Ghettos und Konzentrationslagers Theresienstadt, das die Nazis aus Propagandagründen zur „Idylle“ zu verharmlosen versuchten. Von den 140.937 dorthin verbrachten Juden und Jüdinnen sterben hier über 33.500, mehr als 88.000 werden in Vernichtungslager deportiert.
Weitere Deportationen von Juden und Jüdinnen aus dem Reichsgebiet nach Riga (25.000), Minsk (7.000) und Kowno/Kaunas (5.000), wo sie anschließend liquidiert werden. Bei der nach dem HSSPF benannten „Jeckeln-Aktion“ werden im Rumbuli-Wald bei Riga 30.000 deutsche Juden und Jüdinnen ermordet, im litauischen Kaunas werden am 25. und 29. November 49.934 Juden und Jüdinnen aus Deutschland und Österreich erschossen.
Die 11. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ bestimmt, dass Juden und Jüdinnen, die ihren Wohnsitz im Ausland haben (dazu wird auch das Ghetto Łódź gezählt), ihre Staatsbürgerschaft verlieren und ihr Vermögen an das Reich fällt.
„Polenstrafrechtsverordnung“ über die Strafrechtspflege gegen Pol*innen und Juden und Jüdinnen in den eingegliederten Ostgebieten. Die Verordnung bedroht jegliche Widerständigkeit von Pol*innen und Juden und Jüdinnen mit dem Tode.
Ankunft der ersten Juden und Jüdinnen aus Łódź im Vernichtungslager Chełmno – darunter die Juden und Jüdinnen der ersten Deportation aus dem Reichsgebiet. Hierbei wird die Vernichtung in stationären Gaswagen praktiziert, entsprechend den in der Aktion „T 4“ an Patienten psychiatrischer Anstalten angewandten Methoden. Insgesamt werden in Chełmno mindestens 152.000 Juden und Jüdinnen umgebracht.
Gleichzeitig befiehlt Himmler dem SS- und Polizeiführer Globocnik, die noch lebenden polnischen Juden und Jüdinnen zu vernichten („Aktion Reinhardt“). Dazu errichtet Globocnik die drei Vernichtungslager Bełżec, Sobibór und Treblinka; später noch das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek.
Hitler erklärt den Vereinigten Staaten von Amerika den Krieg.
Von den 562.000 deutschen Juden und Jüdinnen (1933) sind 320.000 emigriert und geflüchtet, weiteren 10.000 gelingt die Flucht noch später.
Mehr als 500.000 Juden und Jüdinnen sind von den Einsatzgruppen, SS-Brigaden und Polizeibataillonen ermordet worden.
1942–1945
„Endlösung der Judenfrage“
Systematische Ermordung der Juden und Jüdinnen Europas
Beginn der Konzentrierung niederländischer Juden und Jüdinnen, im Juni Abtransport nach Westerbork.
Wannsee-Konferenz unter Leitung Heydrichs über die Organisation der Vernichtung der Juden und Jüdinnen Europas. Im Protokoll heißt es: „Anstelle der Auswanderung (…) Evakuierung der Juden in den Osten.“ Nach einer Aufstellung des Deportationsspezialisten Eichmann wird mit rund 11 Millionen Juden und Jüdinnen gerechnet. Fortsetzung des Protokolls: „Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa von Westen nach Osten durchgekämmt.“ Die Konferenz dient vor allem dazu, den „Judenbegriff“ festzulegen beziehungsweise zu erweitern und die Transportmodalitäten festzulegen.
Bericht der SS-Einsatzgruppe A über die Liquidierung von 229.052 Juden und Jüdinnen in den baltischen Staaten. Adolf Eichmann ersucht die Stapostellen im Reich um „gewissenhafte Feststellung der noch im Reichsgebiet ansässigen Juden“.
Die Juden und Jüdinnen im Deutschen Reich müssen ihre Wohnungen kennzeichnen.
Umfangreiche Deportationen reichsdeutscher Juden und Jüdinnen in die Vernichtungslager und in das Ghetto und Konzentrationslager Theresienstadt.
Beginn der Mordaktionen – erstmals fest installierte Gaskammern – in Bełżec („Aktion Reinhardt“). Globocnik lässt das Ghetto Lublin räumen und etwa 18.000 Juden und Jüdinnen in das Vernichtungslager verschleppen.
Errichtung des Frauenlagers in Auschwitz-Birkenau.
Beginn der Deportationen aus der Slowakei (bis Ende 1944 ungefähr 70.000 Juden und Jüdinnen, davon 26.661 nach Auschwitz).
Beginn der Deportationen von Juden und Jüdinnen aus Frankreich nach Auschwitz (bis Ende 1942 ungefähr 42.000, insgesamt 69.000).
Beginn der Vernichtungsaktionen in Sobibor; bis Herbst 1943 werden hier 250.000 Häftlinge, vor allem Juden und Jüdinnen, umgebracht.
Attentat tschechischer Widerstandskämpfer auf den amtierenden Reichsprotektor Heydrich in Prag; er stirbt am 4. Juni.
Erste systematische Massenvergasungen in Auschwitz-Birkenau.
Erste Deportation niederländischer Juden und Jüdinnen von Westerbork nach Auschwitz. Bis 1943 fahren aus den Niederlanden wöchentlich zwei Deportationszüge dorthin, später nach Sobibór (insgesamt über 100.000 Deportierte, davon 60.000 nach Auschwitz), darunter auch die deutsche Jüdin Edith Stein.
Der Reichsführer SS Himmler kommt zum zweiten Mal nach Auschwitz. Er besichtigt das Interessengebiet des Lagers und begutachtet in Birkenau die technische Abwicklung der sogenannten „Endlösung“.
Himmler gibt in Lublin Globocnik den Befehl, die „Umsiedlung der gesamten jüdischen Bevölkerung des Generalgouvernements bis 31. Dezember 1942“ – also ihre Ermordung – zu beenden.
Beginn der Räumung des Warschauer Ghettos und Deportation nach Treblinka: Bis September 1942 werden etwa 250.000 Warschauer Juden und Jüdinnen abtransportiert.
Beginn der Deportationen aus Belgien nach Auschwitz: In 26 Transporten werden bis Ende Juli 1944 ungefähr 25.000 belgische Juden und Jüdinnen dorthin verschleppt.
Deportation von 1.003 nach Frankreich geflüchteten deutschen Juden und Jüdinnen über das Lager Drancy nach Auschwitz.
In Auschwitz: SS-Hauptsturmführer Robert Mulka wird zum Adjutanten des Lagerkommandanten Höß ernannt. Im Frankfurter Auschwitz-Prozess ist er der ranghöchste Angeklagte, da Richard Baer, der Nachfolger von Rudolf Höß als Kommandant von Auschwitz, noch vor Prozesseröffnung gestorben ist.
Aus Lemberg werden 20.000 Juden und Jüdinnen nach Bełżec deportiert.
Die deutschen Besatzungsbehörden erfassen die Juden und Jüdinnen im eroberten Kroatien. Insgesamt werden ungefähr 10.000 nach Auschwitz deportiert; schon zuvor hatte der Ustascha-Führer Ante Pavelić den Großteil der kroatischen Juden und Jüdinnen umbringen lassen.
Fernschreiben von Gestapochef Heinrich Müller an alle Stapostellen, die im Reich liegenden Konzentrationslager „judenfrei“ zu machen. Die Häftlinge sollen allesamt nach Auschwitz und Lublin deportiert werden.
Erste Deportation von Juden und Jüdinnen aus Norwegen nach Auschwitz. Insgesamt werden 759 norwegische Juden und Jüdinnen deportiert, davon 690 nach Auschwitz, von denen lediglich 25 überleben.
Ankunft des ersten Transports von Sinti*zze und Rom*nja in Auschwitz, wo sie in ein „Zigeunerlager“ kommen (insgesamt 23.000).
„Fabrik-Aktion“: Gegen die Deportation jüdischer Zwangsarbeiter aus Berliner Rüstungsfirmen protestieren mehrere hundert Ehefrauen in der Berliner Rosenstraße und verlangen die Freilassung ihrer (mit ihnen in „privilegierter Mischehe“ lebenden) Männer.
Beginn der Deportationen griechischer Juden und Jüdinnen von Saloniki nach Auschwitz (bis August 1943 ungefähr 45.000).
Die großen Krematorien mit Gaskammern (II-V) in Auschwitz werden fertiggestellt.
Die „Fabrik-Aktion“ wird im ganzen Reichsgebiet fortgesetzt. Dabei sollen alle als Arbeitskräfte eingesetzten Juden und Jüdinnen deportiert werden. Von den 11.000 Betroffenen verbergen sich rund 4.000 im Untergrund.
Errichtung des KZ Bergen-Belsen, zuerst Aufenthaltslager für Juden und Jüdinnen.
Beginn des Aufstandes im Warschauer Ghetto (am 16. Mai berichtet der dafür eingesetzte SS-Brigadeführer Jürgen Stroop, dass die „Zerschlagung des jüdischen Wohnbezirks“ erledigt sei; sein Bericht verschweigt, dass die Eingeschlossenen sich noch bis in den Herbst wehrten und von den Warschauer Juden und Jüdinnen 56.000 ihr Leben ließen.)
Himmler befiehlt die Liquidierung aller polnischen, am 21. Juni auch aller im besetzten sowjetischen Gebiet gelegenen Ghettos.
Nach einer Audienz bei Hitler auf dem Berghof notiert Himmler: „Der Führer sprach (…) aus, dass die Evakuierung der Juden trotz der dadurch in den nächsten 3 bis 4 Monaten noch entstehenden Unruhe radikal durchzuführen sei und durchgestanden werden müsse“.
Die 13. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ verfügt, dass das Vermögen der Juden und Jüdinnen nach ihrem Tod an das Reich fällt.
Weitere Morde in den Vernichtungslagern der „Aktion Reinhardt“. In Bełżec, Sobibór und Treblinka sind mindestens 1,75 Millionen Juden und Jüdinnen aus Polen und anderen europäischen Ländern umgebracht worden.
Die beabsichtigte Deportation der dänischen Juden und Jüdinnen scheitert weitgehend; die Untergrundorganisationen verhelfen rund 7.200 Betroffenen zur Flucht nach Schweden; die Gestapo kann nur 475 verhaften.
Himmlers erklärt vor einer Versammlung von Reichs- und Gauleitern in Posen: „Ich bitte Sie, dass, was ich Ihnen in diesem Kreise sage, wirklich nur zu hören und nie darüber zu sprechen. Es trat an uns die Frage heran: Wie ist es mit den Frauen und Kindern? – Ich habe mich entschlossen, auch hier eine ganz klare Lösung zu finden. Ich hielt mich nämlich nicht für berechtigt, die Männer auszurotten – sprich also: umzubringen oder umbringen zu lassen – und die Rächer in Gestalt der Kinder für unsere Söhne und Enkel groß werden zu lassen. Es musste der schwere Entschluss gefasst werden, dieses Volk von der Erde verschwinden zu lassen“.
1.023 in Rom erfasste Juden und Jüdinnen werden nach Auschwitz deportiert, aus Italien insgesamt 5.951.
In der „Aktion Erntefest“ werden die noch überlebenden Juden und Jüdinnen im Generalgouvernement liquidiert. Allein in den Lagern des Distrikts Lublin werden 40.000 – 43.000 Juden und Jüdinnen erschossen; eine der größten Erschießungsaktionen.
Beginn der letzten Deportationen von Juden und Jüdinnen aus Saloniki (bis August 1944 etwa 10.000). Insgesamt werden aus Griechenland ungefähr 55.000 Juden und Jüdinnen deportiert.
Eichmann leitet persönlich – unter Mithilfe ungarischer Polizeibehörden – die Deportation von 437.402 Juden und Jüdinnen aus Ungarn nach Auschwitz, von denen bis Ende des Jahres etwa drei Viertel in den Gaskammern ums Leben gebracht werden.
Sowjetische Truppen besetzen das evakuierte Vernichtungslager Majdanek.
Der letzte Transport aus den Niederlanden nach Auschwitz verlässt Westerbork – mit der 15-jährigen Anne Frank.
Aufstand des Häftlings-Sonderkommandos in Auschwitz, das zum Dienst in den Krematorien gezwungen war, Zerstörung des Krematoriums IV und der dazugehörigen Gaskammern. Die SS erschießt 451 Häftlinge – keinem gelingt es, zu fliehen.
Beginn des Todesmarsches Budapester Juden und Jüdinnen, die an der Reichsgrenze zu Schanzarbeiten eingesetzt werden sollen.
Reichsführer-SS Himmler befiehlt die Einstellung der Vergasungen in Auschwitz und die Zerstörung der Krematorien/Gaskammern. Auf diese Weise will er seine Bemühungen unterstützen, doch noch mit den Westalliierten einen Sonderfrieden anzubahnen.
Beginn der Räumung von Auschwitz. Von den 66.000 Häftlingen, die in Todesmärschen ins Reichsgebiet getrieben werden, kommen 15.000 um oder werden, wenn sie nicht mehr weiterkönnen, von der SS erschossen.
Die Rote Armee besetzt Auschwitz und befreit annähernd 8.000 zurückgelassene Häftlinge, von denen viele an Entkräftung sterben. Mindestens 1,2 Millionen Menschen, darunter 1 Million Juden und Jüdinnen, sind in Auschwitz ums Leben gebracht worden.
In Buchenwald übernehmen nach der Flucht der SS-Wachmannschaften die Häftlinge das KZ und übergeben es den anrückenden amerikanischen Truppen.
Das Konzentrationslager Bergen-Belsen wird von britischen Einheiten befreit; 14.000 Häftlinge sterben noch danach an Entkräftung.
Alliierte Verbände befreien im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück 3.500 Häftlinge. Am Tag darauf besetzen amerikanische Truppen das KZ Dachau.
Hitler verfügt in seinem „Politischen Testament“: „Vor allem verpflichte ich die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur peinlichen Einhaltung der Rassengesetze und zu unbarmherzigem Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum“. Er begeht am selben Tag Selbstmord.
Die Rote Armee befreit das KZ Theresienstadt.
Bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht gegenüber den Oberbefehlshabern der Alliierten.
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© Irmtrud Wojak. Die Chronik wurde von der Autorin für die von ihr kuratierte Ausstellung Auschwitz-Prozess. 4 Ks 2/63. Frankfurt am Main (2004) erstellt und für die Webseite geringfügig überarbeitet. Die Ausstellung fand am historischen Ort des Prozesses im Bürgerhaus Gallus in Frankfurt am Main statt.